2022 war ein Krisenjahr – für unser Land wie auch für unsere Partei. Die Ampel ist unter denkbar schweren Bedingungen ins Amt gestartet. Sie musste nicht nur Versäumnisse aufarbeiten, die die unionsgeführte Vorgängerregierung hinterlassen hat, sondern gleichzeitig auch die kostspieligen sicherheits- und energiepolitischen Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine bewältigen.
Das notwendige Krisenmanagement ging letztes Jahr zu Lasten der liberalen Profilbildung. Wir Freie Demokraten haben im Laufe des vergangenen Jahres in den bundesweiten Umfragen deutlich an Zustimmung verloren. Die letzten vier Landtagswahlen verliefen enttäuschend für uns.
2023 muss die Trendwende für die Freien Demokraten bringen. Neben den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 12. Februar und zur Bremer Bürgerschaft am 14. Mai stehen im Herbst auch Landtagswahlen in den beiden Flächenländern Bayern und Hessen an. Diese „Midterm-Elections“ zur Hälfte der Bundestags-Legislaturperiode werden richtungsweisend für die weitere Entwicklung der FDP bundesweit sein.
Damit die FDP 2023 zurück auf die Erfolgspur findet, muss sie ihr Profil schärfen. Unser Auftrag in der Ampel-Koalition ist es, Richtiges voranzubringen und Falsches zu verhindern. Das geht nicht, ohne auch mal anzuecken. Die FDP muss in der Bundesregierung als gestaltende Kraft des Fortschritts und als bürgerlich-liberales Korrektiv erkennbar sein: Wir müssen Reformen vorantreiben, die unser Land digitaler, innovativer und erfolgreicher machen. Und wir müssen unser Land in der Mitte halten, wo SPD und Grüne es nach links führen wollen.
Als kleinster von drei Koalitionspartnern können wir unsere Vorstellungen nicht 1:1 in Regierungspolitik umsetzen. Kompromisse müssen aber besser erklärt und liberale Verhandlungserfolge selbstbewusster dargestellt werden. Und die Wählerinnen und Wähler sollen erkennen können, wie die „FDP pur“-Position aussieht. Sie müssen wissen, welche Politik sie mit ihrer Stimme für die FDP stärken. Mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen sehen wir dabei vor allem sechs zentrale Punkte:
- Wirtschaft: Standort Deutschland stärken
Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts. Dieser Satz von Ludwig Erhard gilt heute mehr denn je. Der Koalitionsvertrag der Ampel ist als Dreiklang aus sozialer Gerechtigkeit, Ökologie und Ökonomie angelegt. Angesichts einer drohenden Rezession muss die Sorge um unsere Wirtschaft jetzt ins Zentrum rücken. Denn die wirtschaftliche Substanz unseres Landes ist die Voraussetzung dafür, dass wir uns einen leistungsfähigen Sozialstaat und eine ökologische Transformation leisten können. Deshalb gilt es nach den Jahren steigender Staatsquote, erdrückender Bürokratie und zunehmender Planwirtschaft, die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Projekte, die Deutschland als Wirtschaftsstandort stärken, müssen Priorität haben. Mit der Ratifizierung von CETA konnte jüngst ein solches Projekt auf Betreiben der FDP umgesetzt werden. Weitere müssen folgen. Umgekehrt müssen alle Vorhaben, die wirtschaftliche Betätigung in Deutschland erschweren, unterlassen werden: Die FDP muss dafür Sorge tragen, dass das in der Ampelkoalition vereinbarte Belastungsmoratorium für die Wirtschaft konsequent eingehalten wird.
- Energie: Sicherheit und Bezahlbarkeit gewährleisten
Zu den entscheidenden Standortfaktoren für unser Land gehört eine sichere und bezahlbare Energieversorgung. Vorgängerregierungen haben Deutschland in eine fatale Abhängigkeit von russischem Gas gebracht. Um diese zu überwinden, müssen wir den Ausbau von erneuerbaren Energien, Stromleitungen und Speichern beschleunigen. Das allein wird in den kommenden Jahren nicht ausreichen. Deutschland wird mittelfristig auf konventionellen Energiequellen angewiesen sein. Deshalb müssen wir alle Möglichkeiten nutzen, die uns im Land zur Verfügung stehen. Wir müssen die Nutzung von Geothermie vorantreiben und auch viel stärker als bisher auf heimische Gasvorkommen setzen. Dabei darf auch Fracking nicht länger ein Tabu sein. Eine Verlängerung der Laufzeiten deutscher Kernkraftwerke über 2023 hinaus würde die deutsche Stromversorgung günstiger und klimafreundlicher machen. Deutschland muss auch künftig ein Standort für kerntechnische Forschung und Entwicklung sein. Dafür muss die FDP sich einsetzen.
- Steuern: Bürger und Unternehmen entlasten
Deutschland gehört zu den Ländern mit den höchsten Einkommen- und Körperschaftssteuersätzen weltweit. Das schwächt unsere Attraktivität sowohl für Unternehmen als auch für Fachkräfte. Es ist das Verdienst der FDP, dass Steuererhöhungen im Koalitionsvertrag der Ampel ausgeschlossen wurden. Auch ein Abbau der kalten Progression und die Erhöhung diverser Freibeträge sind Finanzminister Christian Lindner im vergangenen Jahr gelungen. Letztlich wurde damit in Zeit einer Inflation von 10 % der Status quo gesichert. Für die Zukunft muss die FDP deutlich machen, dass eine echte steuerliche Entlastung ihr Ziel ist. Dazu gehören eine Senkung der Einkommen- und der Körperschaftssteuer sowie bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Wirtschaftsgüter. Dies kann finanziell gelingen, wenn gleichzeitig unser Staat schlanker und digitaler wird. Deshalb gehören Steuerentlastungen und Bürokratieabbau zusammen.
- Migration: Zuwanderung besser steuern
Ein limitierender Faktor für wirtschaftliches Wachstum ist der Mangel an Arbeits- und Fachkräften. Nahezu alle Branchen sind aktuell davon betroffen. Gleichzeitig steigt die Zahl der Asylanträge zuletzt wieder stark an. Das „Wall Street Journal“ brachte das deutsche Dilemma kürzlich auf den Punkt: Unser Land sei ein „Magnet für Asylsuchende“, ziehe aber nicht genügend qualifizierte Zuwanderer an. Hier muss die FDP auf einen Paradigmenwechsel drängen. Neben dem von der Bundesregierung geplanten Einwanderungsgesetz mit Punktesystem nach kanadischem Vorbild braucht es auch Anstrengungen zur Verhinderung illegaler Migration und zur Rückführung von Menschen ohne Bleibeperspektive. Die FDP steht für eine offene Gesellschaft, für Aufstiegschancen und für klare Regeln. Unser Ziel ist mehr Einwanderung in unseren Arbeitsmarkt, nicht in unseren Sozialstaat.
- Klimaschutz: Innovation statt Ideologie
Über das Ziel, die Treibhausgase gemäß dem Pariser Abkommen zu reduzieren, herrscht in Deutschland weitgehend Einigkeit. Die Vorstellungen, wie dieses Ziel erreicht werden soll, gehen aber massiv auseinander. Die FDP muss klare Kante zeigen gegen eine wachstums- und kapitalismusfeindliche Klima-Ideologie, die unverhohlen die Deindustrialisierung Deutschlands propagiert. Klimaschutz erreicht man nicht durch immer mehr Verbote und eine Rückabwicklung des Wohlstands, sondern durch technologischen Fortschritt und marktwirtschaftliche Anreize. Dies mit klugen Rahmenbedingungen zu fördern und Deutschland zum Standort für neue, klimafreundliche Technologien zu machen, nützt Umwelt und Wirtschaft gleichermaßen. Die FDP muss dabei weiter in allen Bereichen für Technologieoffenheit kämpfen.
- Finanzen: Rückkehr zur Schuldenbremse
Zur Bewältigung der aktuellen Krisen hat der Bund zuletzt enorme finanzielle Mittel mobilisiert. Es ist richtig, unsere Bundeswehr zu ertüchtigen – das sichert unsere Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung. Es ist auch richtig, Kaufkraftverluste zu dämpfen und Energiepreise kurzfristig zu stabilisieren – das verhindert soziale Verwerfungen und deren Instrumentalisierung durch die politischen Ränder wie zu Zeiten der Weimarer Republik. Die Aufnahme von krisenbedingten Notlagenkrediten waren deshalb gerechtfertigt, sie müssen aber eine Ausnahme bleiben. Wir müssen 2023 wieder zur Schuldenbremse zurückkehren. Alles andere würde die Inflation anheizen, die Handlungsfähigkeit des Staates in künftigen Krisen gefährden und kommenden Generationen enorme Lasten aufbürden. Das gilt insbesondere in Zeiten steigender Zinsen. Solide Finanzpolitik ist ein Markenzeichen der FDP und muss es auch bleiben.