Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Pharmaunternehmen mittels innovativer Technologie kurzfristig in der Lage sind, Impfstoffe gegen neu auftretende Viruserkrankungen zu entwickeln. Während die Entwicklung neuer Impfstoffe mittels klassischer Technologie mehrere Jahre in An- spruch nehmen kann, kann die Entwicklung mittels mRNA-Technologie in wenigen Wochen er- folgreich sein. Die entsprechenden Genehmigungsverfahren sind dagegen langwierig. So sieht § 10 Abs. 3 BImSchG beispielsweise eine Öffentlichkeitsbeteiligung vor, sodass das reguläre Verfahren nach dem BImSchG in der Praxis mindestens 3 Monate dauern würde. Im Fall des ehemaligen Novartis-Werks in Marburg konnte die veränderte Anlage rechtzeitig genehmigt wer- den, für die Zukunft ist es dagegen wünschenswert, Rechtssicherheit zu schaffen und eine vor- läufige Zulassung im BImSchG zu verankern. Mit Blick auf die aktuelle Situation ist es nicht auszuschließen, dass auftretende Virenmutationen die Entwicklung neuer Impfstoffvarianten nötig machen. In diesem Fall darf die schnelle Entwicklungszeit nicht durch unnötig lange Genehmi- gungsverfahren konterkariert werden.
Vor dem Hintergrund der Impfstoffentwicklung mittels mRNA-Technologie ist darüber hinaus die Haltung des Landes Hessen zur Gentechnik insgesamt zu überdenken. Die Hessische Landes- regierung hat sich 2014 dafür ausgesprochen, die Land- und Forstwirtschaft Hessens gentechnik- frei zu halten. Unter anderem hat sie sich zur Gentechnikfreiheit auf allen landeseigenen Flächen verpflichtet und hat im Oktober 2017 die Präsidentschaft im „Europäischen Netzwerk gentech- nikfreier Regionen“ übernommen. Auch im Koalitionsvertrag für die laufende Legislaturperiodebis 2024 wird erneut bekräftigt, dass ein Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen, einschließlich solcher, die mit Hilfe neuer gentechnischer Verfahren wie CRISPR/Cas erzeugt wurden, in Hes- sen nicht stattfinden soll. Die pauschale Ablehnung von grüner Gentechnik als solches ist nicht mehr zeitgemäß. Viel mehr sollten das Land die Forschung und Entwicklung in diesem Bereich intensivieren und sich für eine Modernisierung des EU-Gentechnikrechts und der entsprechenden Bundesgesetzgebung stark machen.
Am 25. Juli 2018 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass Organismen, deren Genom mithilfe neuer molekularer Techniken des Genome-Editing verändert wurde (z.B. durch CRISPR/Cas-Verfahren), genetisch veränderte Organismen (GVO) im Sinne der Europäischen Richtlinie 2001/18/EG über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt sind. Demnach müssen diese Organismen nach EU-Gentechnikrecht zugelassen werden. Die Differenzierung auf Basis der konkreten Merkmale der erzeugten genetischen Veränderung, beispielsweise in einer Pflanze, ist nach Auslegung des EuGHs in der Richtlinie 2001/18/EG nicht vorgesehen. Eine Differenzierung verschiedener Verfahren findet demnach nicht statt, moderne Ge- nome-Editing-Verfahren werden rechtlich mit klassischer Gentechnik gleichgesetzt. Dabei können mit Hilfe der innovativen Verfahren Pflanzen erzeugt werden, die sich von natürlich entstandenen oder durch klassische Kreuzung gezüchteten Sorten nicht unterscheiden. Diese Gesetzgebung er- scheint wenig zeitgemäß. Hessen sollte sich für eine Modernisierung des EU-Gentechnikrechts stark machen, damit eine Bewertung auf Basis des tatsächlichen Risikos möglich wird.
Hier finden Sie den Antrag: Ja zur Gentechnik im Innovationsland Hessen
Hier finden Sie das Protokoll aus der Landtagsdebatte: Protokoll_Ja zur Gentechnik im Innovationsland Hessen